Showdown zum Mindestlohn
Die SPD fordert klärende Worte der Kanzlerin zu Lohnuntergrenzen für Briefzusteller. Das sei ein "Knackpunkt für die Koalition"
Gerold Büchner und Regine Zylka
BERLIN. Beim Spitzengespräch der großen Koalition an diesem Sonntag droht ein Showdown im Streit über gesetzliche Mindestlöhne für Briefzusteller. Die SPD verlangte gestern, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) müsse den Konflikt mit der Union ausräumen und den Weg frei machen für allgemein verbindliche Lohnuntergrenzen in der Branche. Andernfalls werde das "ein richtiger Knackpunkt für die Koalition", sagte der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Wend, der Berliner Zeitung.
Union spielt auf Zeit
Unionspolitiker hatten zuvor ihre Bedenken gegen das Vorhaben erneuert, obwohl die Frage nach der letzten Koalitionsrunde eigentlich geklärt schien. "Es besteht kein Sachzwang, den Mindestlohn zum 1. Januar 2008 einzuführen", sagte Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen. CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer kann sich sogar vorstellen, im Kanzleramt ohne Ergebnisse zu bleiben. "Je weniger beim Koalitionsausschuss herauskommt, desto besser für Deutschland", sagte er während Merkels Indien-Reise. Eine Nichteinigung sei besser, als die Forderungen der SPD zu erfüllen. Am Sonntag soll es auch um mehr Arbeitslosengeld für Ältere und um die Bahnreform gehen.
Vorwürfe der SPD, der Koalitionspartner wolle die vereinbarte Aufnahme der Briefdienstleister in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz im Bundestag torpedieren, ließen Fraktionskreise gestern unwidersprochen. Nächste Woche werde das Thema jedenfalls nicht im Plenum behandelt, hieß es. Ob das Gesetz dann in der Woche darauf verabschiedet werden könne, hänge von den Ergebnissen einer Anhörung am Montag ab. Voraussetzung sei, dass "einige rechtliche und wirtschaftliche Fragen geklärt sind". Dazu gehöre der Streit, ob der vorliegende Mindestlohn-Tarifvertrag zwischen Post und Gewerkschaften mehr als die Hälfte der Mitarbeiter der Branche umfasse. Sollte die Aufnahme in das Entsendegesetz nicht bis Mitte des Monats verabschiedet sein, kann der Mindestlohn nicht wie geplant 2008 in Kraft treten.
Beim Mindestlohn drängt die SPD auf Tempo, weil das Monopol der Post für Normalbriefe Ende Dezember endet und dann ausländische Konkurrenz auf den deutschen Markt drängen könnte. Doch die Union bestreitet inzwischen, dass es eine klare Festlegung dazu gegeben habe. "Das steht nirgendwo", hieß es. Die SPD wiederum argumentiert, eine Abmachung über den Post-Mindestlohn sei Voraussetzung für ihr Ja zur vollen Marktöffnung der Branche gewesen. "Die Union stellt eine klare Vereinbarung in Frage", sagte Rainer Wend.
Zur Lösung des Konflikts schlug Wend eine Protokollnotiz vor, wonach die tarifvertraglich vereinbarten Mindestlöhne nur solche Beschäftigte erhalten sollen, die "überwiegend" in der Postzustellung arbeiten. Dann bestehe kein Zweifel, dass der Tarifvertrag mehr als 50 Prozent aller Arbeitnehmer in der Branche betreffe, sagte Wend. Diese Grenze ist entscheidend, weil erst bei ihrem Erreichen der Tarifvertrag zwischen der Post und der Gewerkschaft für alle anderen Firmen gelten kann, die in diesem Bereich tätig sind. Dazu gehören etwa die TNT, eine Tochter der holländischen Post, oder die PIN AG, hinter der Zeitungsverlage wie Springer, Holtzbrinck und WAZ stehen.
SPD-Chef Kurt Beck ist offenbar entschlossen, den Streit um den Post-Mindestlohn mit der Union auszufechten. Sollte die Kanzlerin wackeln, "ist Feuer in der Bude", hieß es gestern in der Parteizentrale. Fraktionsvize Ludwig Stiegler zeigte sich allerdings überzeugt, dass Streit nicht eskaliert. "Hier tobt sich im Moment ein Grundsatzkonflikt aus, der nicht anders zu erwarten war. Wir werden das hinkriegen", sagte Stiegler dieser Zeitung. Auch Vizekanzler Franz Müntefering sagte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, er sehe die Koalition nicht gefährdet.Berliner Zeitung, 02.11.2007