Murrende Union, strahlende SPDVon
Florian Gathmann Die Unionspolitiker murren - aber sie wackeln nicht. Trotz erheblicher Bedenken hat die CDU/CSU-Fraktion dem SPD-Projekt Post-Mindestlohn zugestimmt. Nun aber lautet die Botschaft an den Koalitionspartner: keine Ausweitung auf andere Branchen.
Berlin - Der CDU-Abgeordnete Laurenz Meyer hat sich bereits auf seinen Platz in der zweiten Reihe gesetzt, da applaudiert Unions-Fraktionschef Volker Kauder immer noch. Die Rede des Wirtschaftsexperten war nicht besonders inspirierend, die Unions-Leute haben sie dennoch freundlich beklatscht, aber Kauder wirkt beinahe euphorisch. Er dreht sich sogar nach hinten und führt seine Hände vor dem Abgeordneten demonstrativ zusammen. Denn Meyer hat einen Satz gesagt, an dem sich die Union über diesen Tag hinaus festhalten kann: "Die Post ist durch das Postgesetz ein Sonderfall, in anderen Branchen wird es diese Entwicklung nicht geben."
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Ja zum Post-Mindestlohn: Der Bundestag stimmte mit großer Mehrheit dem Gesetz zu
Der Post-Mindestlohn ist ein SPD-Projekt, auch wenn die Unionsfraktion dem Gesetz heute um des Koalitionsfriedens Willen fast geschlossen zustimmte - mit Knurren und Wehklagen. Meyers Botschaft an den Regierungspartner: bis hierher und nicht weiter.
Am Ende votierten für die Aufnahme der Postbranche in das Entsendegesetz 466 von 552 Abgeordneten und dagegen 70 - darunter 19 Abgeordnete aus der Union. Damit kann der von Ver.di und den Post-Arbeitgebern ausgehandelte Mindestlohn-Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt werden: Er sieht einen Stundenlohn zwischen 8 und 9,80 Euro vor und soll für Unternehmen gelten, die überwiegend mit der Briefzustellung beschäftigt sind. Die Änderung des Entsendegesetzes muss noch den Bundesrat passieren, was für kommende Woche geplant ist.
Wie wichtig der Post-Mindestlohn für die SPD ist, wird in der Debatte deutlich - und wie gerne man ihn auf weitere Branchen ausweiten möchte. Andrea Nahles, Parteilinke und stellvertretende Bundesvorsitzende, macht das ganz klar: "Es gäbe diesen Mindestlohn nicht, wenn die SPD nicht so beharrlich dafür gekämpft hätte." Keine Hand rührt sich da unter den Unionsabgeordneten, während die SPD-Fraktion laut klatscht. Erst recht, als Nahles weiter redet: Natürlich sei das nicht das Ende - Zeitarbeit, Wachschutz, Frisörhandwerk, darüber werde im kommenden Jahr zu reden sein. Ganz still wird es im Lager von CDU/CSU.
Natürlich, es gibt auch im Unions-Lager Abgeordnete - und deren Zahl nimmt offenbar zu -, die sich die Ausweitung des Mindestlohns vorstellen können, weil sie in diesen Branchen besonders im Osten Regelungsbedarf sehen. Und deshalb ist es wohl kein Zufall, dass nach dem neuen Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) der CDU-Abgeordnete Ralf Brauksiepe als erster seiner Fraktion spricht. Brauksiepe ist Arbeitsmarktexperte - und gehört in die Blüm/Geißler-Tradition der CDU. Aus dieser Ecke wurde zuletzt offen Sympathie für den Mindestlohn bekundet.
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von Celestine Aber die große Mehrheit der Union sieht es wohl eher so: Man habe sich zum "Reparaturkasten der Tarifparteien" machen lassen, wie ein CDU-Abgeordneter aus den neuen Ländern sagt. "Post-Chef Zumwinkel hat uns verarscht".
Dass die Post nach dem Bundestagsbeschluss noch sorgenfreier wirtschaften kann, ist unbestritten. Die Reaktion kam prompt: Nur einige Minuten nach Verabschiedung des Gesetzes kündigte der Springer-Konzern an, die Zahlungen an den Post-Wettbewerber Pin Group einzustellen. Für die SPD ein weiterer Beweis dafür, dass die privaten Briefzusteller der Politik die Schuld für ihr ökonomisches Versagen in die Schuhe schieben wollen.
Die Sozialdemokraten sind jedenfalls zufrieden: Der Füller flitze bei ihr nun besonders gut, wenn sie Weihnachtskarten schreibe, sagt SPD-Frau Nahles und hält einige in die Höhe. Denn die Briefträger würden, um sie auszutragen, nun endlich entsprechend entlohnt. Doch das Gesetz tritt aller Voraussicht nach zum 1. Januar in Kraft - da dürften die Nahles'schen Karten längst ausgetragen sein. Guido Westerwelle dagegen ist richtig sauer: Von einer der folgenschwersten Entscheidungen gegen die soziale Marktwirtschaft spricht der FDP-Bundes- und Fraktionschef. "Das ist wie eine DDR ohne Mauer", sagt Westerwelle und lässt sich dafür von den FDP-Abgeordneten bejubeln. Als die grüne Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer später bemerkt, dieser Satz sei "an Peinlichkeit nicht zu überbieten", klatschen bis auf die Liberalen fast alle Abgeordneten im Saal.
Recht hat Westerwelle allerdings damit, dass die Koalition beim Mindestlohn uneinig ist. Und dieser Konflikt wird nach diesem Tag noch virulenter: Nahles & Co. werden jetzt erst recht auf die Verabredung der Meseberger Koalitions-Klausur pochen, wonach weitere Branchen bis Ende März beantragen können, in das Entsendegesetz aufgenommen zu werden. Auch Arbeitsminister Scholz erinnerte während seiner Rede daran.
Wie gut sie sich verstehen, demonstrierten Unions-Fraktionschef Kauder und sein SPD-Kollege Peter Struck auch heute wieder: Man zog sich gemeinsam aus dem Plenum zurück, plauschte vertraut. Aber die Achse Kauder-Struck wird noch einiges auszuhalten haben.