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Annika Meinhold, die aus Angst vor einem Rausschmiss nicht erkannt werden will, arbeitet bei TNT für 7,38 Euro pro Stunde
Für die 160.000 Arbeitnehmer der Post haben sie bereits eine solche Lohnuntergrenze beschlossen und deren Allgemeinverbindlichkeit bei Bundesarbeitsminister
Franz Müntefering (SPD) beantragt: Auch die Billig-Konkurrenz müsste dann ihrem Personal mindestens diese Stundenlöhne zahlen. Für viele Pin-Briefträger hieße das um die 260 Euro brutto mehr im Monat. Vizekanzler Müntefering haben die Postler auf ihrer Seite. Die Sozialdemokraten wollen in möglichst vielen Branchen Mindestlöhne einführen. Doch um einen Wirtschaftszweig in das sogenannte Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufnehmen zu können und damit mindestlohnfähig zu machen, muss es eine freiwillige Mindestlohn- Einigung zwischen den Arbeitgebern und mindestens 50 Prozent der Arbeitnehmer geben.
"Wir sind an Grenzen angelangt"
Anfang dieser Woche sah es so aus, als ob diese Hürde überwunden wäre. Doch dann ließ die Union die Verhandlungen im Koalitionsausschuss platzen. Sie schlug einen Mindestlohn von lediglich acht Euro vor. Davon sollten nur die hauptberuflichen Zusteller profitieren. Die Sozialdemokraten waren empört. "Das ist eine Form von Lobbypolitik, die ich hoch bedenklich finde", sagte Arbeitsminister Müntefering. Die europäischen Anbieter könnten nun nach dem Ende des Briefmonopols am 1. Januar 2008 mit Dumpinglöhnen in Deutschland agieren. Beide Seiten wollen in den nächsten Wochen weiter verhandeln.
Selbst der ehemalige Postminister Wolfgang Bötsch zeigt inzwischen Sympathien für einen Mindestlohn. Der CSU-Mann hatte Mitte der 90er Jahre die schrittweise Liberalisierung des Postmarktes durchgesetzt. Doch die Erfahrungen mit der Privat-Post sind schlecht. Bötsch sagt: "Wir sind an Grenzen angelangt." Das heute übliche Sozialdumping habe der Gesetzgeber nie gewollt. "Die Löhne sollten so sein, dass eine Durchschnittsfamilie damit auskommen kann."
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Florian Gerster droht mit 20.000 Entlassungen, wenn der Mindestlohn für Briefträger kommt
Für Pin und Co. sind Mindestlöhne ein Albtraum. Sie werden ihre Margen schmälern und ihre Verluste größer machen. Als Cheflobbyist der Branche tritt seit Ende September
Florian Gerster auf. Er stand von 2002 bis 2004 an der Spitze der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg. Geschasst wurde Gerster unter anderem, weil er sich durch fragwürdige Auftragsvergaben das Vertrauen des Verwaltungsrates verscherzt hatte. Nun ist er Präsident des Arbeitgeberverbandes Neue Brief- und Zustelldienste, eine Konkurrenzorganisation zum Arbeitgeberverband Postdienste.
Gerster bietet allenfalls eine Untergrenze
Hemdsärmlig geht er auch im neuen Job zur Sache. Da droht er: "Wenn der vereinbarte Mindestlohn in dieser Form kommt, fallen auf einen Schlag 20.000 Arbeitsplätze weg." Allenfalls eine Untergrenze von 6 bis 7,50 Euro sei drin, bot er zuletzt im Oktober an. Da hatten sich Verdi und der Arbeitgeberverband Postdienste bereits auf die 8 bis 9,80 Euro geeinigt. Gerster hat rechtliche Schritte angekündigt, falls dieser Mindestlohn komme. Auch Gersters Gegner kennen sich mit Schreckensszenarien aus. Seit Wochen warnt
Klaus Zumwinkel, Chef der Deutschen Post AG, vor dem Lohndumping der privaten Konkurrenten, das in seinem Unternehmen 32.000 Arbeitsplätze bedrohe.
Tatsächlich arbeiten Zumwinkels gelbschwarz gekleidete Truppen noch zu etwa zwei Dritteln auf Vollzeitstellen. Das Einstiegsgehalt liegt bei 11 Euro, länger Beschäftigte wie Briefträger Stefan Zemke, 45, aus Hamburg verdienen um die 16 Euro. Wie seine Postkollegen zahlt er seit Jahren in die Sozial- und Steuerkassen ein. Vollzeitjobs sind bei den Privaten nicht die Regel. 60 Prozent aller Beschäftigten von Pin, TNT und Co. sind geringfügig Beschäftigte: Viele verdienen maximal 400 Euro und sind damit meistens ganz von Steuern und Sozialversicherungsabgaben befreit. Bei vielen reicht das Geld nicht zum Leben. Sie lassen ihr Gehalt mit Arbeitslosengeld II aufstocken. Es sei doch "ordnungspolitisch verrückt", sagte Müntefering vor Kurzem auf dem SPD-Parteitag in Hamburg, "wenn da Leute sind, die die Briefmarke zum halben Preis verkaufen und anschließend ihre Leute zum Arbeits- und Sozialminister schicken und sagen: 'Den Rest des Lohns holst du dir aus der Steuerkasse'".
Der Staat stockt aufMüntefering meint Menschen wie Annika Meinhold (Name von der Redaktion geändert). Die Mutter von mehreren Kindern verdient mit ihrem Teilzeitjob beim Postzusteller TNT im Schnitt pro Monat 800 Euro brutto. Weil sie als Mutter damit aber unter dem gesetzlichen Existenzminimum liegt, wird ihr Gehalt vom Staat mit etwa 250 Euro aufgestockt. Annika Meinhold sagt: "Ich finde es traurig, dass ich so produktiv arbeite wie andere auch und trotzdem vom Arbeitsamt abhängig bin." Wie ein Sozialhilfeempfänger werde sie behandelt: "Ich darf kein Vermögen ansparen und muss fragen, ob ich umziehen darf - obwohl ich Akkord schufte."
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Post-Chef Klaus Zumwinkel sagt, ohne Mindestlohn seien in seinem Konzern 32.000 Stellen gefährdet
Wenn man dagegen Arno Doll glauben will, bringt ein Mindestlohn von 9,80 Euro vor allem eins: Arbeitslosigkeit. Eigentlich müsste er für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen kämpfen, denn Doll ist Chef der Gewerkschaft Neue Brief- und Zustelldienste (GNBZ). Aber die GNBZ ist eine ganz besondere Organisation:
Florian Gerster verkündete, man werde die Entwicklung der neuen Gewerkschaft wohlwollend beobachten, als es die GNBZ noch gar nicht gab. Auffällig auch, dass viele GNBZ-Vorstände Betriebsräten zufolge in höheren Positionen bei der Pin beschäftigt sind. Arno Doll streitet das dem
stern gegenüber aber ab. Journalisten, die mit der Gewerkschaftsleitung telefonieren wollen, werden schon mal vertröstet. Zurück ruft dann die Pressestelle - und zwar die der Pin Group.
Arbeitsminister Müntefering hat zu Doll und Konsorten eine klare Meinung. "Es kann doch nicht sein", schimpfte er kürzlich, "dass man anfängt, mal schnell eine Gewerkschaft zu gründen, nur damit man einen Tarifvertrag unterlaufen kann." Um ihre Niedriglöhne zu verteidigen, scheuen sich private Zustelldienste offensichtlich auch nicht, die Öffentlichkeit grob zu täuschen. So sorgte Anfang Oktober eine Demo der privaten Postzusteller in Berlin für Aufsehen: Arbeitnehmer demonstrierten gegen höhere Löhne. Pin- Betriebsrat Janosch Mietle erinnert sich, wie die Versammlung zustande kam: "Pin- Vorstand Dr. Axel Stirl hat vorher dem Betriebsrat gesagt: 'Wir müssen eine Demo organisieren, aber das muss unter eurem Namen laufen.'" Die Drohung, man werde bei Mindestlöhnen viele Mitarbeiter entlassen, habe die meisten Kollegen eingeschüchtert. Auf Anfrage des
stern teilte das Unternehmen mit, man habe das Vorhaben der Mitarbeiter lediglich "unterstützt". Die Polizei bestätigte später, dass die Kundgebung von der Pin angemeldet worden sei.