Die Wahrheit hinter dem Kahlschlag bei der Pin-Group
Die Gleichung ist so einfach. Mindestlöhne zerstören die Arbeitsplätze bei der PIN-Group. So jedenfalls wollen es uns die Verantwortlichen der grünen Post verkaufen.
Aber stimmt das wirklich? Daniel Hechler, Gottlob Schober und Anno Knüttgen haben die wahren Hintergründe recherchiert, warum das Unternehmen PIN auf wackeligen Beinen steht.
Bericht:Er ist einer von 9.000 Briefzustellern der PIN-Group in Deutschland. Wie alle musste er aus der Zeitung erfahren, dass auch sein Job in Gefahr ist, dem Unternehmen sogar die Insolvenz droht. Der Zusteller ist sauer auf seinen Arbeitgeber, möchte aber nicht erkannt werden.
O-Ton:»Die Stimmung in der Belegschaft ist so, dass alle sagen, dieser Arbeitgeber macht hier eine Riesenschweinerei, lässt die zu. Und will alle Beschäftigten in Angst und Schrecken versetzen, um dann doch noch diesen Mindestlohn zu verhindern.«
Warum droht die Insolvenz? Warum sind die Jobs bei PIN plötzlich bedroht? Ende November verständigte sich die Große Koalition auf Postmindestlöhne. Kurz danach ließ PIN die Bombe platzen. Über 1.000 Mitarbeiter sollen gehen, wegen der Mindestlöhne. Munition für die Gegner von Mindestlöhnen in der Koalition. Unionspolitiker fühlen sich bestätigt. Mindestlöhne kosten Arbeitsplätze.
Aber müssen alleine wegen der Mindestlöhne Arbeitsplätze abgebaut werden? Wir besuchen die Oberbayern Mail mit Sitz in Manching. 2004 wurde die private Firma gegründet. Sie hat sich inzwischen im Freistaat etabliert. Der Geschäftsführer:
O-Ton, Jürgen Baldewein, Geschäftsführer Oberbayern Mail:»Wir sehen uns als Erfolgsstory hier in unserer Region. Wir haben weit über 2.000 Kunden geworben, wir haben über 500 Arbeitsplätze geschaffen, wir haben gute Umsätze.«
Natürlich ist auch die Geschäftsleitung der Oberbayern Mail gegen die in der Koalition verabschiedeten Mindestlöhne von 9,80 Euro im Westen. Doch im Gegensatz zu PIN schreibt das Unternehmen keine roten Zahlen mehr und kämpft für den Erhalt aller Arbeitsplätze.
O-Ton, Jürgen Baldewein, Geschäftsführer Oberbayern Mail:»Wir werden nicht entlassen und das versuchen wir auch zu vermeiden in der Zukunft.«
Warum aber droht PIN mit Massenentlassungen? Der Postexperte bei ver.di Bayern, Anton Hirtreiter, ist sich sicher, dass der Mindestlohn nicht dafür verantwortlich ist.
O-Ton, Anton Hirtreiter, ver.di Bayern:»In Wahrheit steckt dahinter, dass sie das Geschäftsmodell nicht umsetzen können, dass sie erhebliche finanzielle Probleme haben, und dass sie überhaupt keinen Fuß auf den Boden bekommen in diesem neuen Briefmarkt. Und deswegen kündigen sie.«
Kann PIN in Bayern tatsächlich nicht Fuß fassen? Bei unseren Recherchen finden wir Indizien, die darauf hindeuten. PIN ist im Freistaat erst 2006 in den Markt eingestiegen und hatte schon lange vor dem Mindestlohnbeschluss eigene Depots wieder aufgegeben.
Zum Beispiel in Fürstenfeldbruck und hier in Dachau. In Straubing wurden sogar 16 Mitarbeiter entlassen. Auch bundesweit läuft das Prestigeobjekt von Springerchef Mathias Döpfner schlecht. Insider halten die Brieftochter des Axel Springer Verlages für einen Sanierungsfall. Viel zu schnell und viel zu teuer habe man rund 80 Firmen aufgekauft. Das Problem: Zu viel Personal, zu hohe Kosten.
Rückblick. Im Juni dieses Jahres hatte der Springer-Verlag für PIN 510 Millionen Euro hingeblättert. Für Mathias Döpfner ein attraktives Investment in ein sehr schnell wachsendes Unternehmen. Erstmals äußert sich der ehemalige Springer Vorstandsvorsitzender, Professor Jürgen Richter, gegenüber REPORT MAINZ zu dieser Problematik. Er saß lange Jahre auch im Post-Aufsichtsrat und kennt den Markt gut.
O-Ton, Prof. Jürgen Richter, ehem. Vorstandsvorsitzender Springer AG:»Ich meine schon, dass man ein wenig zu hoch gepokert hat. Es war ja klar, dass es eine Art Verdrängungswettbewerb werden würde, nach dem 1.1.2008. Und was mich hier bei dem ganzen Thema so besonders wundert, ist, dass obwohl es heute noch keinen Mindestlohn gibt, jetzt schon quasi, nach Presseberichten, Illiquidität droht. Das kann ich, ehrlich gesagt, nicht nachvollziehen.«
Springer verweigert ein Interview vor der Kamera. Schriftlich aber teilt man uns mit, dass der Einstieg bei der PIN-Group nicht riskant gewesen sei. Die vorhersehbaren Szenarien seien einkalkuliert gewesen. Laut Geschäftsbericht aber schreibt PIN ein dickes Minus. In diesem Jahr wird mit einem Verlust von 55 Millionen Euro gerechnet. Ohne Mindestlohn.
O-Ton, Prof. Jürgen Richter, ehem. Vorstandsvorsitzender Springer AG:»Die Thematik Mindestlohn, die jetzt so stark politisch reingekommen ist, gefällt mir natürlich aus der Sicht nicht, dass man hier versucht Managementfehler, die in der Vergangenheit und in den letzten Jahren passiert sind, jetzt auf das Thema Politik abzuwälzen, das finde ich im Grunde genommen nicht richtig. Man sollte hiermit auch eingestehen, dass man hier vielleicht bei der Beurteilung des Marktes und der Zukunftschancen, Fehler gemacht hat.«
Die Fehler müssen nun die PIN-Mitarbeiter ausbaden. Besonders schlimm würde es, wenn am kommenden Freitag die Insolvenz verkündet wird. Dann würde ein Großteil der 9.000 PIN-Mitarbeiter auf der Straße stehen. Für Jürgen Richter ein Abschied von den Idealen des Verlagsgründers.
O-Ton, Prof. Jürgen Richter, ehem. Vorstandsvorsitzender Springer AG:»Was mir über Axel Springer erzählt worden ist: Er hat ja immer auch ein Herz für die kleinen Leute gehabt. Und die Bild-Zeitung setzt sich ja auch für die so genannten kleinen Leute ein. Hier ist es ja jetzt so, dass sie im Grunde genommen maßgeblich getroffen werden. Und ich kann nur hoffen, dass dem Hause Springer, auch aus alter Verbundenheit, die ich natürlich irgendwo noch habe, dass dem Hause Springer auch wirklich bessere Lösungen hierzu einfallen.«
Abmoderation Fritz Frey:Wir nehmen Politiker ja selten in Schutz, aber in diesem Fall drängt sich der Verdacht auf, dass am Freitag, da will Springer über das Schicksal der PIN-Gruppe entscheiden, Managementfehler auf die Politik abgewälzt werden sollen, im Windschatten eines Bundestagsbeschlusses.
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10.12.2007, 21.45 Uhr, Report Mainz, Das Erste